
Arbeitnehmerwallfahrt 2018
„Arbeit ist Menschenrecht“ dieses Leitmotiv stand wieder im Mittelpunkt der 12. Wallfahrt für Arbeitnehmer und Arbeitslose nach Vierzehnheiligen am vergangenen Samstag. Eingeladen hatte die Katholische Betriebsseelsorge Bamberg, der Diözesanverband Bamberg und das Franziskanerkloster Vierzehnheiligen. Die Wallfahrt begann am Seubelsdorfer Kreuz in Lichtenfels. Auf dem gemeinsamen Weg zur Basilika wurden an vier Stationen die Sorgen und Nöte der Menschen in der Arbeit und in Arbeitslosigkeit durch Betroffene in Gebeten und Meditationen thematisiert und eine Vision einer gerechten Welt entwickelt. Bei jedem Halt wurde die Mahnglocke angeschlagen, die auch zu Beginn des Gottesdienstes in der Basilika erklang.
An der ersten Station machten Betriebsseelsorger Norbert Jungkunz und DGB Kreisvorsitzender Heinz Gärtner deutlich, dass Niedriglohn in die Sackgasse führe. 4900 Vollzeitbeschäftigten im Landkreis Lichtenfels drohe Altersarmut. Mitarbeiter und Ehrenamtliche der Arbeitsloseninitiative unterstrichen an der zweiten Station die Würde des Menschen. Sie werde verletzt, wenn sie nur daran gemessen werde, wieviel Einkommen und Vermögen man habe und wenn man durch Androhung von Sanktionen dazu gezwungen werde, für Hungerlöhne zu arbeiten.
Die Mitglieder der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) stellten an der dritte Station fest, dass soziale Sicherungssysteme schrumpfen und die gesellschaftliche Polarisierung zunehme. Ihre Forderung: Soziale Sicherung sei wichtig für unsere soziale Gerechtigkeit. Es gehe inzwischen um die Zukunftsfähigkeit der Bundesrepublik, sowie um den Zusammenhalt der Gesellschaft. Die Digitalisierung der industriellen Produktion sowie im Dienstleistungssektor habe weitreichende Folgen auch für die bestehenden Strukturen und Institutionen der Sozialpolitik.
Der Betriebsseelsorger beleuchtete mit Betriebsräten an der vierten Station die Arbeitsbedingungen der Zukunft, wenn die Digitalisierung fortschreite. Die Arbeitsbedingungen unterlägen einem ständigen Wandel. Verunsicherung oder sogar Angst seien oft Begleiterscheinungen die solch ein Wandel auslöse. Die Grundfragelaute: „Wo bleibt der Mensch in diesem Prozess?“ Der Schutz der arbeitenden Menschen vor dauerhafter Überbeanspruchung dürfe den Renditeerwartungen der Chefetagen nicht zum Opfer fallen.
Das Gefühl der Solidarität stand im anschließenden Gottesdienst im Mittelpunkt. Ein Zeichen setzte Seelsorgeamtsleiter Domkapitular Dr. Peter Wünsche. Mit scharfen Worten kritisierte er den Missbrauch der Macht und wählte den ungewöhnlich heftigen Siriustext aus dem Alten Testament: „Kärgliches Brot ist das Leben der Armen, wer es ihnen raubt, ist ein Blutsauger, den Nächsten mordet, wer ihm den Unterhalt wegnimmt und Blut vergießt, wer einem Lohnarbeiter den Lohn raubt“. Wer dem Arbeiter um seinen Lohn betrüge, wer auf Kosten der Schwächeren lebe, der sei im Unrecht. „Lohn vorenthalten ist Blutvergießen und Mord“, unterstrich der Seelsorger. Für die, die am unteren Rand des Existenzminimums leben, sei Geld kein Spiel, sondern eine Frage von Tod und Leben. Mindestlohn reiche nicht und garantiere keine Menschenürde.
„Blut vergießt, wer dem Arbeiter den Lohn vorenthält“, dieser Satz nage auch an unseren Konsumgewohnheiten. Wenn eine Jeans zehn Euro koste, wieviel Cent bekomme dann die Näherin?, fragte er. Nachdenken und besser machen sei erwünscht, so Dr. Wünsche und forderte fairen Handel, faire Preise und faire Vergütung. Wer sich für den gerechten Anteil aller am Brot einsetze, der sei wie einer, der Blut zur Lebensrettung spende. Dem Nächsten schenkt Leben, wer ihm ehrlich gibt, was ihm für seine Arbeit zusteht. „Leben schafft, wer sich für Gerechtigkeit einsetzt, überall auf der Welt“, stellte der Domkapitular fest.
Text & Bilder: Andreas Welz
Lesung: Jesus Sirach 35,16–27
Evangelium: Lk 10,1–16
Liebe Schwestern und Brüder!
Blut vergießt, wer dem Arbeiter den Lohn vorenthält. Das ist schon heftig. So ‘was steht in der Bibel. Hätten Sie das gewusst? Ich denke, ich ken-ne mich in der Bibel einigermaßen aus. Aber über die Worte aus dem Buch Jesus Sirach, die da vorhin als Lesung vorgetragen wurden, habe ich mich in der Vorbereitung zu diesem Gottesdienst schon gewundert.
In der Bibel stehen viele Stellen, die den Armen, damals vor allem den Tagelöhnern, ihr Recht zusprechen: in Deuteronomium, im fünften Buch Mose, auch beim Propheten Amos im Alten Testament wird sehr deutlich Wert darauf gelegt: Wer den Arbeiter um seinen Lohn betrügt, wer auf Kosten der Schwächeren lebt, der ist im Unrecht. Im Neuen Testament wird das aufgegriffen: Was ihr dem Geringsten verweigert habt, das habt ihr auch dem Weltenrichter verweigert. Der Jakobus-brief blickt in eine ähnliche Richtung und zählt das Vorenthalten von Lohn zu den himmelsschreienden Sünden.
Und dann heute, vorhin die Lesung aus Jesus Sirach: eine wenig be-kannte Schrift. Sie steht, wie manchmal gesagt wird, am Rand des Al-ten Testaments, wurde manchmal dazugezählt und manchmal nicht, für uns Katholiken ist es aber anerkannt als ein Buch der Bibel. Es ist allerdings nur wenigen vertraut. Dass es den Verfassernamen Jesus Sirach trägt, hat nichts direkt mit Jesus von Nazareth zu tun. „Jesus“ ist hier einfach die griechische Form des hebräischen Namens „Jo-schua“ – und der Name ist bis heute im Judentum und auch bei Chris-ten geläufig. Der Verfasser lebet wohl im zweiten Jahrhundert vor Christus.
Im Gottesdienst wird selten aus dem Buch Jesus Sirach gelesen, nur an wenigen Tagen im Jahr kommt es als Lesung in der Messe vor. Und der Abschnitt, den wir vorhin gehört haben, taucht sonst nie im Got-tesdienst auf, nicht in der Messfeier, nicht im Stundengebet. Ich will da gar keine böse Absicht unterstellen – aber es ist schon schade. So deut-liche Worte haben ihr Gutes.
Da heißt es ganz drastisch: Man schlachtet den Sohn vor den Augen des Vaters, wenn man ein Opfer darbringt von den Gaben der Armen. Das ist ein klares Wort gegen den Missbrauch von Religion: Den Armen ihren Lebensunterhalt wegzunehmen, um ihn dann ganz fromm als Opfer darzubringen, das ist genauso schlimm wie ein grausamer Mord, wie ein Mord an einem Kind vor den Augen der Eltern. Ein noch so frommer Zweck kann Ungerechtigkeit nicht gut machen. Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer – so heißt es entsprechend beim Propheten Hosea. Jesus Sirach meint dasselbe, sagt es hier noch deutlicher.
Das geht aber noch weiter: Kärgliches Brot ist der Lebensunterhalt der Ar-men, wer es ihnen vorenthält ist ein Blutsauger. Etwas umschrieben: Die Armen haben eh nur schlichtes Brot – ohne Käse oder Butter drauf. Wer ihnen auch noch das vorenthält, ist wie eine Stechmücke oder Bremse, wie ein Blutegel, ist wie ein Vampir oder was es sonst an blut-saugenden Kreaturen noch so alles gibt. Blut ist Leben. Blut saugen heißt Leben abschöpfen, heißt Chancen abgraben, heißt Tod bringen.
Und schließlich der letzte Satz, der auch zum Motto dieser Wallfahrt wurde: Den Nächsten mordet, wer ihm den Unterhalt nimmt; Blut vergießt, wer dem Arbeiter den Lohn vorenthält. Jetzt wird das Ganze nicht mehr im Bild gesagt, sondern ganz direkt: Lohn vorenthalten ist Blutvergießen und Mord.
„Ich habe keinen umgebracht“ – das ist ein oft gehörter Rechtferti-gungssatz. Jesus Sirach fragt: Stimmt das eigentlich? „Es geht doch bloß um Geld.“ Unter gut Gestellten mag das ja stimmen – „bloß Geld“. Aber für die am unteren Rand des Existenzminimums ist ein Mehr oder Weniger an Geld kein Spiel, sondern eine Frage von Tod und Leben.
Blut vergießt, wer dem Arbeiter den Lohn vorenthält. Das ist natürlich zu-erst denen gesagt, die arbeiten lassen, damals und heute Es war schwierig, die Politik davon zu überzeugen, dass es einen Mindestlohn geben muss – aber das kann nur ein erster Schritt sein. Was zum Über-leben reicht, garantiert noch nicht Menschenwürde.
Blut vergießt, wer dem Arbeiter den Lohn vorenthält. Das ist auch denen gesagt, die für eine gerechtere Welt kämpfen. Es geht eben nicht nur um Sachwerte, es geht um Leben und Überleben. Es muss nicht sein, dass wir unsere sozialen Standards senken, um konkurrenzfähig zu sein. Ich denke, es ist keine schlechte Idee, unsere Ideen von Gerechtigkeit und unsere Standards von sozialem Handeln zu exportieren – Globali-sierung umgekehrt sozusagen.
Blut vergießt, wer dem Arbeiter den Lohn vorenthält. Der Satz nagt auch an unseren Konsumgewohnheiten. Wenn eine Jeans für 10 Euro zu haben ist, dann kann da etwas nicht stimmen: Wie viele Cent bekommt da-von die Näherin? Wenn sich die Preise allgemein in den letzten fünfzig Jahren ungefähr vervierfacht haben, aber einfache Schokolade heute kaum mehr kostet als in den 60er Jahren: Wer kommt dafür auf? Was bleibt für die Landarbeiter? Wenn Frauen aus Ost- und Südosteuropa hier Familienpflege leisten mit praktisch 24-stündiger Bereitschaft für netto 1000 Euro pro Monat: Das mag in Übereinstimmung mit den Ge-setzen sein, aber ist das gerecht? Niemand, der solche Preise nutzt, wird sich als Blutsauger oder Mörder fühlen; aber Nachdenken und Bessermachen ist schon erwünscht: Fairer Handel, faire Preise, faire Vergütung.
Das zeigt schon: Man muss nicht im Negativen stecken bleiben. Jesus von Nazareth sagt das, was Jesus Sirach sagte, mit anderen Worten, aber er sagt es positiver – so haben wir das im Evangelium gehört. Je-sus von Nazareth greift Jesus Sirach auf, aber er sagt es mehr auf Zu-kunft hin: Wer arbeitet, hat ein Recht auf seinen Lohn. Das gilt hier in en-gerem Sinn für die Verkündigungsarbeit der Jünger. Aber das gilt auch im weiteren Sinn für jede geleistete Arbeit: Wer arbeitet, für den ist die Gegenleistung für seine Zeit und Kraft nicht ein Almosen, son-dern gutes Recht. Denn Zeit und Kraft sind Leben, und dafür braucht es Unterhalt und aus Gerechtigkeit einen Ausgleich für vergebene Le-benszeit und eingesetzte Lebenskraft.
Und so lassen sich die harten Sätze des Jesus Sirach auch ganz wun-derbar ins Positive wenden, ohne ihren Sinn zu verfälschen:
Man opfert den Sohn vor den Augen des Vaters, wenn man ein Opfer dar-bringt vom Gut der Armen. Ja, aber auch: Den Ärmeren zu geben was ihnen zusteht, ihren Besitz zu achten, auch wenn er klein ist, und sie als Menschen voll und ganz und gar zu respektieren, das freut auch Gott, mehr als alle Opfer.
Kärgliches Brot ist das Leben der Armen, wer es ihnen raubt, ist ein Blutsauger. Ja, aber auch: Wer sich für gerechten Anteil aller am Brot einsetzt, der ist wie einer, der Blut zur Lebensrettung spendet.
Den Nächsten mordet, wer ihm den Unterhalt wegnimmt. Ja, aber auch: Dem Nächsten schenkt Leben, wer ihm ehrlich gibt, was ihm für seine Arbeit zusteht.
Blut vergießt, wer einem Lohnarbeiter den Lohn raubt. Ja, aber dann auch: Leben schafft, wer sich für Gerechtigkeit einsetzt, überall in der Welt.
Gerechte Löhne, gerechte Lebensbedingungen, gut verteilte Chancen auf Gesundheit und Bildung: Wenn wir uns darum sorgen, werden wir zu Lebensspendern und Mitschöpfern – werden wir Gott ähnlich.
Peter Wünsche