
Wallfahrtseröffnung Vierzehnheiligen 2019
Mit einem festlichen Gottesdienst am „Tag der Wallfahrt“ haben wir Franziskaner am vergangenen Sonntag (26. 04.) das Wallfahrtsjahr 2019 eröffnet. In diesem Jahr werden wieder ca. 170 Fußwallfahrten erwartet. Es steht unter dem Leitwort
„Lauft nur, ich werde euch tragen, euch hinführen bis ans Ziel“.
Der Sängerkreis „Coburg, Kronach, Lichtenfels“ gestaltete den Gottesdienst musikalisch mit einem sehr runden und harmonischen Chorklang.
Den sehr gut besuchten Festgottesdienst feierte der Provinzvikar der Deutschen Franziskaner, P. Franz Josef Kröger aus München.
Er hielt in diesem Gottesdienst die folgende Predigt:
„Lauft nur!“ – Diese beiden ersten Worte des diesjährigen Wallfahrtsmottos für Vierzehnheiligen haben mich an meine Kindheit erinnert. Wenn an Sonn- und Feiertagen ein Spaziergang durch die Wiesen- und Felder unserer dörflichen Umgebung angesagt war, dann fiel dieses Wort schon mal.
Wenn während des Spaziergangs für uns Kinder von weitem etwas Interessantes oder Bekanntes sichtbar wurde, etwa eine Koppel mit Pferden oder die alte und große, weithin sichtbare Eiche, mit der Bank darunter zum Ausruhen, dann ging der fragende Blick zu den Eltern oder – wenn das nicht half – das bittende Wort: „Dürfen wir?“ – Und dann kam in der Regel neben dem bejahenden Nicken der Mutter eben dieses Wort „Lauft nur!“ – Manchmal mit dem Zusatz: „Passt aber auf! Bleibt auf dem Weg, damit wir euch nicht aus den Augen verlieren.“
„Lauft nur“ – damit waren wir sozusagen „frei“. Die Eltern gaben uns den Weg frei. Wir konnten uns frei bewegen. Lernen, eigene Wege zu gehen. Lernen, die Nähe der Eltern loszulassen und Neues zu entdecken.
Sich frei bewegen zu können, zu dürfen – das ist eine wünschenswerte Erfahrung für alle. Nicht eingeengt oder gegängelt zu werden. Sich frei bewegen, vielleicht mit einem Ziel vor Augen – gleichzeitig die Gewissheit zu haben, dass jemand da ist, der ein Auge auf mich hat. Der mich im Blick hat. Der sich um mich sorgt. Der auch jederzeit in der Lage wäre einzugreifen und Hilfe zu leisten. Nicht das Gefühl, einem gnadenlosen Aufpasser ausgeliefert zu sein, sondern mit dem Gefühl, unter den Augen, im Blick eines wohlwollenden und aufmerksamen Begleiters einen eigenen Weg zu gehen.
Vertrauen auf beiden Seiten war das. Vertrauen haben und Vertrauen schenken. Das stärkt für den Weg miteinander, das Vertrauen zueinander und den Glauben aneinander. Selbst wenn Wege sich mal trennen.
„Lauft nur!“ – für mich war und ist dieses Wort von gegenseitigem Vertrauen geprägt. Ich traue dir.
Und es fällt mir nicht schwer, in diesem Fall das Wort „Eltern“ auch durch Gott zu ersetzen. Für diese Lebenserfahrung bin ich nicht nur meinen Eltern sehr dankbar.
„Lauft nur!“ – so möchte man auch den beiden Emmausjüngern zurufen. Lauft nur! Auch wenn ihr es nicht ahnt oder für möglich haltet, ihr seid auf dem besten Weg, das Glück eures Lebens zu erfahren.
Dabei ist die Situation für die Jünger ja eigentlich zum Davonlaufen. Und das tun sie ja auch. Alle Hoffnungen enttäuscht, die bisher wohl bittersten Stunden ihres Lebens lasten schwer auf ihnen. Vertrauen und Glauben dahin. Alle Zukunftsaussichten im Nebel der Ungewissheit verschwunden. Der Ort, wo sie das Heil erwartet hatten, Jerusalem, wird für sie zum Ort des Grauens. Nur weg – so scheint ihre Devise gewesen zu sein. Tief verletzt und verwundet und vom Leben enttäuscht. Ohne Vertrauen. Ohne Glauben. „Wir aber hatten gehofft…“ Resignation, die aus diesen Worten spricht
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht. Mir persönlich tut es in solchen Situation gut, spazieren zu gehen, zu wandern – um auf andere Gedanken zu kommen, die einem helfen können, neue Zugänge zum Problem zu finden.
Es ist zum Davonlaufen für die beiden Jünger. Und dann gesellt sich unterwegs einer zu ihnen. Ganz unaufgeregt. Wie selbstverständlich. Hört ihnen zu. Läuft mit ihnen. Stellt Fragen. Mischt sich vorsichtig ein. Gibt sich aber nicht zu erkennen. Und die Jünger sind „wie mit Blindheit geschlagen“. Sie ahnen und sehen noch nichts vom sich anbahnenden Glück an ihrer Seite. Es ist eben immer noch zum Davonlaufen. Aber sie haben sozusagen die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Auch auf solchen Wegen halte ich euch aus – sagt Gott. Auch damit kann ich umgehen. Für mich kein Grund zum Davonlaufen oder euch im Stich zu lassen. „Gott“, so sagt die Bibel, „ist ein unbeirrbar treuer Gott!“
Mir geht es hier nur um den einen Gedanken: Gott geht mit nicht nur, wenn unser Leben hohe und hehre Ziele hat; wenn unser Glaube und unser Vertrauen stark sind. Gott geht an unserer Seite, auch wenn das Leben zu einer einzigen Enttäuschung geworden ist. Ich mich Gottes vielleicht gar nicht mehr würdig glaube. Gott begleitet nicht nur den, der voller Vertrauen im Leben steht und sich von Gott und Menschen getragen weiß; er begleitet auch den, der auf seinem Weg am Ende ist, der sich von allen im Stich gelassen glaubt, der nicht mehr kann, der nur noch ans Aufgeben, ans Weglaufen denkt.
Die Emmausjünger laufen und ahnen lange nicht, dass sie auch in dieser Situation, wo sie sich von Gott und der Welt verlassen fühlen, begleitet sind; dass jemand sie auch auf diesem Weg in die scheinbare Aussichtslosigkeit im Auge hat. Unauffällig werden sie von dem begleitet, von dem sie sich schwer enttäuscht fühlen. Da geht einer mit, den sie nicht mehr auf der Rechnung haben.
Und der mischt sich in ihr verwundetes Leben ein.
Zunächst merken sie es gar nicht. Zu sehr bestimmt die Trauer und die Enttäuschung diese Wegstrecke. Aber im Nachhinein, als es ihnen zu dämmern beginnt: „Brannte uns nicht das Herz…?“ – so fragen sie. Und es wird ihnen klar: mit dem Gang nach Emmaus haben sie den Lauf ihres Lebens gemacht. Sie wollten dem Leben davonlaufen – und dann finden sie auf diesem Weg in ihr Leben zurück.
„Lauft nur!“ – egal ob mit Zuversicht und voller Hoffnungen und Erwartungen oder mit dem Gefühl, am Ende zu sein: Geht euren Weg, so wie ihr ihn gehen könnt – ich gehe mit! Ich bin dabei. Ich bin an eurer Seite. Auch wenn ihr es vielleicht nicht merkt. Das ist die Erfahrung Israels mit seinem Gott in guten und in schlechten Tagen und Zeiten. Das ist die Erfahrung, die ich uns allen wünsche – egal auf welchen Wegen wir uns befinden; egal, wie der Lauf unseres Lebens bisher war oder momentan aussieht. Geht euren Weg in der Gewissheit und in dem Vertrauen – ich bin dabei. Ich gehe mit.
Ein kleines Erlebnis, das mir in Erinnerung geblieben ist. Zwei Kinder kaufen in einem Laden ein. Das eine ist bedient und die Frau hinter der Theke fragte den anderen: „Und du, was möchtest du denn?“ – „Ich möchte gar nichts“, sagte der Junge, „ich bin nur mit.“ Ich bin nur mit – das klingt nichtssagend, aber es kann so wichtig sein; es sagt eigentlich alles. Im Grunde ein Wort Gottes.
Wenn Sie mit dem Auto schon mal die A 7 von Würzburg Richtung Hannover gefahren sind, dann ist Ihnen vielleicht an der Ausfahrt Guxhagen, kurz vor Kassel eine riesige Reklametafel aufgefallen. Mitten in einer Vielzahl von solchen Reklametafeln ist eine Tafel, auf der stehen in riesigen Buchstaben vier Worte: „Ich trage dich – Gott.“
„Lauft nur, ich werde euch tragen.“ Eigentlich ein Widerspruch in sich. Wenn ich auf eigenen Füßen laufe, dann braucht mich doch niemand zu tragen. So könnte man denken. Was also meint dieses Wort, uns auf den Weg zu machen und uns dabei als Getragene zu fühlen?
Vielleicht haben wir das Bild des guten Hirten vor Augen, der das Lamm auf seinen Händen oder seiner Schulter trägt. Aber das ist es – so glaube ich – eher nicht. Denn Gott trägt uns ja nicht einfach durch unser Leben, wie Eltern ein kleines Kind tragen.
Was aber könnte es dann sein, dieses Getragenwerden?
Vielleicht kennen Sie ja auch, wie es sich anfühlt, wenn wir auf einmal von einer Welle der Begeisterung getragen, zu etwas fähig werden, wozu wir – nüchtern betrachtet – gar nicht in der Lage gewesen wären; wenn z.B. im Sport ein eigentlich ganz kleiner und unterlegener völlig überraschend einen Großen schlägt; wenn wir also über uns hinauswachsen; wenn uns eine Woge von Sympathie, von Wohlwollen, von Liebe entgegenschlägt, auf der wir scheinbar Berge versetzen können. Es gibt Mächte und Kräfte, die uns sozusagen Flügel verleihen, die uns tragen, ohne dass wir deswegen die Bodenhaftung verlieren; ohne dass wir deswegen unser Leben aus der Hand geben. „Lauft nur, ich werde euch tragen, euch hinführen zu eurem Ziel.“
Das ist die Erfahrung, die die Emmausjünger machen dürfen. Mitten in aller Verlassenheit und Haltlosigkeit erfahren sie, dass sie getragen waren. Mitten in aller Ziellosigkeit und Perspektivlosigkeit erfahren sie, dass sie geführt und begleitet wurden.
Mich erinnert das an meine Eltern, wenn sie uns Kindern sagten: Lauft nur, wir haben euch im Auge.
Mich erinnert das an das Plakat an der Autobahn: Ich trage dich – Gott.
Mich erinnert das an den kleinen Jungen, der der Verkäuferin sagt: Nein, ich will nichts kaufen. Ich bin nur mit.
Mich erinnert das an ein Wort Jesu: Ich bin der Weg.
„Lauft nur, ich werde euch tragen, euch hinführen bis ans Ziel.“
Eine Verheißung Gottes, der ich mein Leben lang vertrauen möchte. Amen